Zur unionsrechtskonformen Gestaltung einer neuen deutschen Rechtsform „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“

 

Prof. Marija Bartl, Prof. Dr. Christine Godt, Prof. Stefan Grundmann, Prof. Jesper Lau Hansen,

Prof. Friedemann Kainer, Prof. Thorsten Kingreen, Prof. Franz C. Mayer, Prof. Florian Möslein,

Prof. Peter-Christian Müller-Graff, Prof. Niels Petersen, Prof. Christoph Teichmann,

Prof. Anne van Aaken, Prof. Marc-Philippe Weller 

 

Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass eine neue geeignete Rechtsgrundlage für sog. „Unternehmen mit gebundenem Vermögen“ geschaffen werden soll. Hierbei soll mit einer rechtlich verbindlichen Vermögensbindung sichergestellt werden, dass Unternehmensvermögen und Gewinne der langfristigen Unternehmensentwicklung dienen. Diese Vermögensbindung müsste als Wesenskern der Rechtsform rechtlich abgesichert sein. Dazu gehört auch, dass eine Umwandlung in andere Rechtsformen – innerstaatlich oder grenzüberschreitend – nur dann möglich sein soll, wenn die Zielrechtsform einer vergleichbaren Finanzverfassung unterliegt.

 

Die Vereinbarkeit einer solchen Umwandlungsbegrenzung mit dem Recht der Europäischen Union wurde verschiedentlich infrage gestellt. Unabhängig davon, wie wir die Notwendigkeit der Rechtsform individuell beurteilen, stimmen wir als die hier Unterzeichnenden doch darin überein, dass die unternehmerische Forderung nach einer neuen Rechtsform, deren zentrales Element eine umfassende und langfristige Vermögensbindung ist, unionsrechtskonform ausgestaltet werden kann.

 

1. Sekundärrechtliche Unionsrechtskonformität: Eine neue Rechtsform für Gesellschaften mit gebundenem Vermögen würde nicht in den Anwendungsbereich der Mobilitäts- bzw. Gesellschaftsrechtsrichtlinie fallen. Dies gilt besonders für den Fall einer Umsetzung als eigenständige Rechtsform. 

 

Die Mobilitätsrichtlinie von 2019 reformierte die EU-Gesellschaftsrechtsrichtlinie in der Weise, dass Kapitalgesellschaften eine grenzüberschreitende Umwandlung durchführen können. Die erfassten Gesellschaften – für Deutschland insb. GmbH und AG – sind in Annex II der Richtlinie aufgezählt. Sollte die Rechtsgrundlage für Unternehmen mit Vermögensbindung als GmbH-Variante umgesetzt werden, stellt sich die Frage, ob eine solche Rechtsformvariante vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wäre. In der bisherigen Diskussion wurde allerdings vielfach zu Recht betont, dass einer Gesellschaft mit Vermögensbindung wesentliche Merkmale fehlen, die für eine Kapitalgesellschaft typisch sind. Eine Rechtsformvariante, die in wesentlichen Merkmalen von der klassischen GmbH abweicht, würde daher aller Voraussicht nach nicht automatisch unter die Richtlinie fallen. Dies gilt erst recht, wenn der deutsche Gesetzgeber eine eigenständige Rechtsform außerhalb des GmbH-Gesetzes schaffen sollte; diese würde unstreitig nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Eine Änderung des Anwendungsbereiches der Richtlinie ist nur dem EU-Gesetzgeber gestattet. Die EU-Kommission wäre bei entsprechender Ermächtigung zwar zum Erlass delegierter Rechtsakte befugt, dürfte dabei aber den Anwendungsbereich und Regelungsinhalt einer Richtlinie nicht wesentlich verändern (vgl. Art. 290 AEUV). Es wäre ihr also untersagt, eine Rechtsform, der wesentliche Merkmale der Kapitalgesellschaft fehlen, in den Annex II der Richtlinie aufzunehmen.

 

2. Primärrechtliche Unionsrechtskonformität: Eine innerstaatlich wie grenzüberschreitend geltende Umwandlungs-begrenzung, die eine Umwandlung in Rechtsformen mit äquivalenter Vermögensbindung zulässt, stellt im Licht der bisherigen Rechtsprechung keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.

 

Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet das Recht, in anderen EU-Mitgliedstaaten ein Unternehmen zu gründen oder zu betreiben. Sie umfasst grundsätzlich auch die Freiheit zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel. Dabei schützt die Niederlassungsfreiheit zuallererst gegen eine Schlechterstellung von grenzüberschreitenden Vorgängen gegenüber Inlandsvorgängen (Diskriminierungsprinzip). Der EuGH-Rechtsprechung lässt sich insoweit der Grundsatz entnehmen, dass grenzüberschreitende Umwandlungen nicht schlechter gestellt werden dürfen als innerstaatliche Umwandlungen (EuGH, Rs. C 378/10, Vale, Rn. 54, Rs. C 106/16, Polbud, Rn. 43). Die funktionssichernd notwendige Umwandlungsbegrenzung der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen auf gleichartige Gesellschaftsformen sollte daher generell, also gleichermaßen für innerstaatliche und grenzüberschreitende Umwandlungen vorgesehen werden. Die grenzüberschreitende Umwandlung wird dabei nicht schlechter behandelt als eine solche innerhalb Deutschlands. Es besteht keine Diskriminierung gegenüber dem Inlandsfall. 

Auch das über das Diskriminierungsverbot hinausgehende allgemeine Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit ist nicht berührt. Aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH lässt sich nicht ableiten, dass die Niederlassungsfreiheit speziell hinsichtlich grenzüberschreitender Umwandlungen eine umfassende Rechtsformwahlfreiheit dergestalt gewährleistet, dass sich eine Gesellschaft – unter Verstoß gegen das Gründungsrecht, das die Gründer gewählt haben – der Heimatrechtsordnung entziehen dürfte, ohne dabei dem Schutz berechtigter Drittinteressen Rechnung zu tragen. Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit reicht nicht so weit, dass die konstitutiven Merkmale einer bestimmten Rechtsform, für die sich die Gründer aus freien Stücken entschieden haben, nicht mehr gewährleistet und die dadurch festgelegte Interessenbalance der betroffenen Gruppen (stakeholder) nicht mehr gesichert wäre. 

 

Dies gilt umso mehr, wenn der Rechtsrahmen der neuen Rechtsform Umwandlungen in andere Rechtsformen mit äquivalenter Vermögensbindung erlaubt, so dass den Gesellschaften ein formwandelnder Wegzug nicht gänzlich versperrt wird. Diese Möglichkeit genügt den Zielen des europäischen Binnenmarktes, so dass die funktionsnotwendige Umwandlungsbegrenzung keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

 

3. Ausreichende Rechtfertigung: Selbst wenn eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Umwandlungsbegrenzung vorläge, wäre diese durch zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls gerechtfertigt.

 

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Rechtsprechung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch eine funktionssichernde Umwandlungsbegrenzung annehmen würde, wäre diese durch zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Diese Erfordernisse liegen insbesondere im Schutz der verschiedenen Interessengruppen (insb. Gesellschafter, Gläubiger, Arbeitnehmer und Geschäftspartner), die unternehmensspezifisch Geld- und Humankapital investiert haben im Vertrauen darauf, dass das konstitutive Merkmal der Rechtsform – die Langfristigkeit der Vermögensbindung – rechtlich gegen bindungswidrige Vermögensminderungen abgesichert ist. Eine allein auf nicht äquivalente Gesellschaftsformen bezogene Umwandlungsbegrenzung wäre daher verhältnismäßig, nämlich geeignet, erforderlich und angemessen zur Sicherung der essentiellen Funktionsfähigkeit der angestrebten Rechtsform.

 


Prof. Dr. Marija Bartl

Transnational Private Law 

University of Amsterdam

 

Prof. Dr. iur. Dr. phil. Stefan Grundmann, LL.M. (Berkeley)

Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht 

Humboldt-Universität zu Berlin

 

 

 

Prof. Dr. Friedemann Kainer

Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wirtschafts- und Arbeits­recht

Universität Mannheim

 

Prof. Dr. Franz C. Mayer, LL.M. (Yale)

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtspolitik 

Universität Bielefeld

 

Senior-Prof. Dr. habil. Dr. h.c. mult.

Peter-Christian Müller-Graff, Ph.D.h.c., MAE

Bürgerliches Recht, Handels-,

Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht,

Europarecht und Rechtsvergleichung

Universität Heidelberg

 

Prof. Dr. Niels Petersen

Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie empirische Rechtsforschung

Universität Münster

 

Prof. Dr. Marc-Philippe Weller 

Direktor am Institut für ausländisches und 

internationales Privat- und  Wirtschaftsrecht

Universität Heidelberg

 

 

Prof. Dr. Christine Godt

Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, Zivilrecht 

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

 

Prof. Jesper Lau Hansen

Doctor Juris (Hafn.), LL.M. (Cantab.)

Financial Market, Corporate Law & EU Law

Mitglied der zur Beratung der EU-Kommission eingesetzten „Informal Company Law Experts Group (ICLEG)“

Faculty of Law, University of Copenhagen

 

Prof. Dr. Thorsten Kingreen

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht

Universität Regensburg

 

 

Prof. Dr. Florian Möslein, LL.M.(London)

Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht

Philipps Universität Marburg

 

 

Prof. Dr. Christoph Teichmann

Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Handels- und Gesellschaftsrecht

Mitglied der zur Beratung der EU-Kommission eingesetzten „Informal Company Law Experts Group (ICLEG)

Universität Würzburg

 

Prof. Dr. iur. et lic. rer. pol Anne van Aaken

Law and Economics, Rechtstheorie, Völker- und Europarecht

Universität Hamburg



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